Aus dem Knast in den Foodtruck: Diese Gründerin will es möglich machen

Nach einer Haftstrafe wieder zurück in die Gesellschaft finden? Für Häftlinge alles andere als leicht. Gabriele Schnückel will dabei helfen - mit einer Geschäftsidee: Häftlinge bauen in der JVA Oldenburg gebrauchte Lastwagen zu Foodtrucks um. Nach ihrer Entlassung arbeiten sie auf den Trucks - im Idealfall mit einer Festanstellung. 

Im Interview spricht sie über das soziale Gründerprojekt, das sie neben ihrer Selbstständigkeit aufzieht. 

Frau Schnückel, Sie wollen ein Unternehmen gründen und stecken mitten in den Vorbereitungen. Was haben Sie in der kurzen Zeit schon gelernt?

Dass es wichtig ist, über das Projekt zu sprechen – auch, wenn man das Gefühl hat, dass es eigentlich noch zu früh ist, oder Angst, dass jemand die Idee selbst umsetzt. 

Warum ist es so wichtig, darüber zu sprechen?

Durch die Gespräche bekommt man immer wieder die Gelegenheit zu reflektieren und sich die Frage zu stellen: Wo hakt es noch mit der Erklärung? Und diese Stellen, an denen es hakt, das sind die Ankerpunkte, an denen man weiterarbeiten kann.

Wie weit sind Sie inzwischen?

Ich gehe davon aus, dass wir in diesen Jahr anfangen können. Ich weiß nicht, ob der Truck in diesem Jahr schon unterwegs sein wird. Das wäre schön. Aber in jedem Fall wollen wir mit der Vorbereitung in der Justizvollzugsanstalt beginnen.  

Was ist da alles zu tun?

Eine ganze Menge. Wir möchten das Projekt ja in den Vollzug integrieren. Also es ist nicht so, dass wir die Jungs nachher am Tor abholen und sagen: Ihr könnt jetzt hier arbeiten. Wir müssen zuerst den Truck ausbauen. Das dauert ungefähr drei Monaten, wenn es schnell geht. Und dann muss der Koch noch ein Team aufbauen. Das ist ja das, was das Projekt so außergewöhnlich macht. 

Können Sie erklären, was daran besonders ist?

Die Verzahnung zwischen den Maßnahmen in der JVA und dem direkten Anschluss an den Arbeitsplatz. Das gibt es meines Wissens so noch nicht. 

Sie sind ja eigentlich Designerin. Wie kamen Sie auf die Idee mit den Bad Boys?

Ich habe mich vor zwei Jahren selbstständig gemacht. Vorher habe ich 25 Jahre lang in Agenturen gearbeitet, und ich hatte schon länger den Wunsch, etwas Soziales zu machen, ein soziales Projekt. So ist dann diese Idee entstanden. 

Warum gerade ein Foodtruck?

Das kam durch einen Kunden, der selbst mal den Gedanken hatte, mit Foodtrucks zu arbeiten. Die Idee fand ich toll. Wir haben dann auch mal darüber nachgedacht, selbst so einen Foodtruck zu fahren – wie viele Aussteiger das ja machen. Aber weil ich nicht kochen kann, kam das nicht in Frage. Ich habe trotzdem weiter drüber nachgedacht, wie man die Idee erweitern kann. Man hört ja nach der Arbeit nicht einfach auf zu denken. 

Über die Gründerin

Gabriele Schnückel wurde 1965 in Osfriesland geboren. Dort ist sie auch aufgewachsen. Nach der Schule studierte sie Kommunikationsdesign in Münster. Danach arbeitete sie 25 Jahre lang in der Werbebranche. 2017 machte sie sich als Verpackungs- und Projektdesignerin selbstständig. Ihr Büro hat sie in Oldenburg – in einem alten Schlachthaus direkt am Hafen. 

Und wie kamen Sie auf die JVA?

Ich hatte mitbekommen, dass eine JVA so einen Foodtruck komplett ausstatten könnte. Die bieten in ihrem Shops ja sehr viel an. Das fängt beim Grill an und hört bei der Kochschürze auf. Dann ich habe ich da einfach mal angerufen und gefragt: Könnt ihr denn so was? Und während eines solchen Gesprächs habe ich gedacht: Na ja, wenn die schon alles haben, was man in so einem Foodtruck braucht, dann können die uns doch auch beim Personal helfen. So kam das dann. 

Wie fängt man an, wenn man so eine Idee dann umsetzen möchte? 

Man muss erst mal dicke Bretter bohren, viele Gespräche führen, viele Menschen überzeugen. 

War das in Ihrem Fall schwer?

Das Überzeugen nicht. Neu war für mich, dass das in diesem Umfeld alles sehr, sehr langsam geht. Ich komme ja aus der Werbebranche. Da muss immer alles sofort passieren. Und hier dauern Dinge oft so lange, dass man sich zwischendurch selbst immer wieder klarmachen muss, dass das gut und richtig ist, was man da macht – und dass man am Ball bleiben muss. 

Was dauert denn so lange?

Ach, das sind vor allem organisatorische Dinge. Justizvollzugsanstalten sind ja riesige Gebilde mit vielen Abteilungen und Zuständigkeiten. Und die kleinsten Sachen durchlaufen ellenlange Genehmigungsphasen. Wenn man ein Foto machen möchte, kann es sein, dass man wochenlang auf die Genehmigung wartet. 

Mit welchen Problemen müssen Sie sich sich sonst noch herumschlagen?

Die größte Herausforderung ist, das Geld zusammenzubekommen. Und dass wir zurzeit noch nicht sichtbar sind, verlangsamt das Ganze natürlich auch. 

Inwiefern?

In der JVA haben sie uns zum Beispiel gesagt: Sobald ihr hier einen Foodtruck reinschiebt, geht das alles wie von selbst. Dann sehen die Jungs das. Dann wollen sie wissen, was das ist, dann wollen die mitmachen. Dann wird das ein Selbstläufer. Und das würde es auch bei den Investoren einfacher machen. Aber erst mal brauchen wir einen Truck. 

Wie viel kostet der?

Ein gebrauchter, unausgebaut, kostet etwa 30.000 Euro. 

Wie werden Sie den finanzieren?

Zum einen über Investoren. Es ist ja ein Social-Responsibility-Projekt. Da gibt es viele, für die so etwas interessant ist. Unternehmen oder Stiftungen. Ich telefoniere gerade sehr viel. Und wir machen demnächst eine Crowdfunding-Kampagne. 

Wann geht es los?

Im April soll die Kampagne starten. Wir haben jemanden gefunden, der unserer Projekt so toll fand, dass er gesagt hat, er macht den Film für uns, den wir für die Kampagne brauchen.  

Kommen für Sie auch Fördermittel in Frage?

Eigentlich schon. Die Niedersachen-Bank oder die KfW bieten so etwas ja an. Aber in unseren Fall passt das nicht ganz, weil die Grenzen, in denen gefördert wird, oft doch sehr eng sind. Ich würde zum Beispiel gern unbefristete Arbeitsverträge anbieten. Aber das ist schwer, wenn die Förderung nur befristete Projekte unterstützt. 

Haben Sie auch mit Stiftungen gesprochen?

Ja, auch das haben wir getan. Da gibt es auch einige sehr attraktive. Nur dort ist oft die Bedingung, dass ein Großteil der Finanzierung schon stehen muss. Und so weit sind wir noch nicht. 

Vor wenigen Tagen hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier Sie als „Kultur- und Kreativpiloten“ ausgezeichnet – als besonders innovatives Projekt. Spüren Sie seitdem mehr Rückenwind?

Wir merken schon, dass so eine Auszeichnung die Außenwirkung verändert. Für mich persönlich war aber vor allem das Coaching interessant. Ich saß hier ja bislang in meinem Kämmerlein, hab an dem Projekt gewerkelt, und es war schön, mit Menschen darüber zu sprechen, die nicht nur in Zahlen denken. 

Wie meinen Sie das?

Viele sehen ja erst mal nur die Kosten. Wenn man denen erzählt, was man vorhat, sagen die: Gut, das ist so und so teuer, das sind die Margen, du musst so und so viele Events anlaufen. Die Kreativpiloten haben sich erst mal vor allem das Potenzial der Idee angesehen. Das war ein gutes Gefühl, und das hat mich darin bestärkt, weiterzumachen. 

Nach welchen Kriterien haben die Kreativpiloten Ihr Projekt beurteilt?

Die schauen zum Beispiel, was für ein Unternehmer dahintersteht. Hat der die Kraft, Menschen von seiner Idee zu überzeugen? Was macht das Unternehmen eigentlich aus? Da geht es eher um den Kern der Idee. 

Welche Eigenschaften braucht man denn Ihrer Erfahrung nach, um mit einer Gründung erfolgreich zu sein?

Man muss sich natürlich durchsetzen können und hartnäckig sein. Aber in den vergangenen Monaten habe ich gelernt, dass man vor allem eine Vision braucht. Man muss wissen, wo man hin will, und man muss wissen, wo man in zwei Jahren stehen möchte. 

Und wo wollen Sie dann stehen?

Vor einem Truck, und ich möchte sagen können: Hier sind drei Jungs, für die ich die Möglichkeit sehe, dass sie es schaffen, nach ihrer Zeit im Gefängnis wieder zu arbeiten und ein ganz normales Leben zu führen. 

Wie sieht Ihr eigener Plan aus? Soll der Foodtruck Ihr Hauptberuf werden?

Es wäre schön, wenn das gelingt. Ich habe nach und nach gemerkt, dass mir dieses Unternehmertum einfach Spaß macht, dass ich gern Kontakte knüpfe, Visionen umsetze. Das widerspricht meiner Tätigkeit als Designerin ja auch gar nicht. Ich sehe das hier einfach in einem größeren Zusammenhang: Ich gestalte hier keine Verpackung, sondern eben die Zukunft. Und das fühlt sich sehr gut an.