Karin Glattes ist Unternehmensberaterin und spezialisiert auf Customer Experience Management – das Management von „Kundenerlebnissen“. Sie sagt: Ein zufriedener Kunde reicht heute nicht mehr aus, um sich auf dem Markt zu behaupten.
Existenzgründer und Jungunternehmer sollten ihre Kunden in vielen kleinen Kontaktpunkten („Touchpoints“) begeistern. Und zwar vom ersten Kontakt bis zur Rechnung – und darüber hinaus. Was hinter dem Konzept steckt, erklärt sie in diesem Interview.
Eine KFZ-Werkstatt repariert Autos, ein Hotel vermietet Zimmer und ein Designer entwickelt Grafiken. Wo stecken in diesen Beispielen „Kundenerlebnisse“?
Karin Glattes: Die verkauften Produkte und Dienstleistungen sind das Ergebnis der eigenen Arbeit. Die Frage, die sich Existenzgründer und Jungunternehmer stellen sollten, ist aber: Wie will ich den Weg vom ersten Kontakt bis zum Verkauf meiner Leistung gestalten? Wie kann ich mich entlang der vielen Kontaktpunkte mit meinen Kunden von Mitbewerbern unterscheiden und abheben? Wie kann ich begeistern und überraschen?
Viele Unternehmer werden darauf eine zynische Antwort geben und sagen: Die Kunden sind begeistert, wenn ich am günstigsten bin.
Glattes: Tatsächlich gibt es in vielen Branchen einen starken Wettbewerb, einen entsprechenden Preiskampf und illoyale Kunden. Customer Experience ist dagegen ein Instrumen, mit dem Sie Kunden binden, so dass die Kunden immer wieder zu Ihnen kommen und Sie sogar weiterempfehlen.
Also muss ich bei meiner Leistung noch eine Schippe drauflegen?
Glattes: Auch bei den grundsätzlichen Leistungen ist es schwer sich von Wettbewerbern zu unterscheiden. Wenn ich Dachdecker bin, ist das Dach am Ende gedeckt. Das gilt im Grunde für alle Handwerker und auch für viele Dienstleistungsbereiche. Also brauche ich etwas, wodurch ich mich wirklich unterscheide – und da kommt das Thema „Kundenerlebnis“ ins Spiel. Manchmal muss dies auch gar nichts mit der Kernleistung zu tun haben.
Sie sprechen in Ihrem neuen Buch vom „Wow-Faktor“. Die Kunden müssen also richtig begeistert sein. Aber wie schaffe ich das?
Glattes: Indem ich mir alle Kontaktpunkte anschaue, die der Kunde mit meinem Unternehmen hat. Und indem ich mir für die entscheidung- oder kaufrelevanten Kontaktpunkte etwas Besonderes überlege. Von der eigenen Webseite, über die erste E-Mail, das erste Gespräch, das Angebot, die Terminbestätigung, die Leistung – bis zur Rechnung und darüber hinaus.
Wie kann man seinen Kunden in allen diesen kleinen Situationen etwas Gutes tun? Wie kann ich den Kunden überraschen oder seine Erwartung übertreffen? Das sind die entscheidenden Fragen.
Das klingt alles sehr spannend – aber uns fehlt noch die Vorstellung, wie das konkret aussieht. Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Glattes: Zum Beispiel ein Hotel aus Mallorca, das sich im Luxussegment positioniert. Mit der Buchungsbestätigung wird dort gleichzeitig eine PDF an die Kunden geschickt mit Fragen wie: Möchten Sie eine oder zwei Decken? Welche Kissen möchten Sie? Sollen wir schon Massageanwendungen für Sie reservieren? Welche Kosmetika möchten Sie im Bad? Der Kunde erwartet dies in diesem Moment nicht – und ist einfach begeistert.
Ein weiteres Beispiel: Ich habe einmal mit einem Bad-Hersteller zusammengearbeitet. Zwischen Bestellung und Lieferung vergehen häufig mehrere Monate. Es gibt also eine lange Phase des „Nicht-Kontaktes“. Für die Kunden ist dies keine sonderlich schöne Zeit. Sie müssen warten und Däumchen drehen. Währenddessen machen sie sich weiterhin Gedanken darüber, wie sie ihr Bad einrichten wollen.
Also haben wir eine Reihe von Zusatzkontaktpunkten geschaffen. Mit zahlreichen Tipps zur Einrichtung und Dekoration bis zu Kooperationen mit Dekorationsgeschäften aus der Region. Ausgespielt über verschiedene Kanäle wie Newsletter oder Social Media.
Ein drittes Beispiel: Kennen Sie einen Handwerker, der einige Monate nach getaner Arbeit anruft und fragt, ob er noch einmal vorbeikommen kann, um die Schrauben unentgeltlich nachzudrehen? Das wäre eine schöne, unerwartete Leistung, die jeden Kunden begeistern würde.
Alle drei Beispiele bestehen für sich genommen nur aus kleinen Handlungen, deren Aufwand überschaubar ist und betriebswirtschaftlich einkalkuliert werden kann. Dahinter steckt allerdings eine grundsätzliche Haltung und eine klare Strategie. Daran sollte jeder Gründer und Jungunternehmer arbeiten. Dann setzt man sich auch eher gegen etablierte Unternehmen durch.
Aber Vorsicht: Man sollte solche Konzepte nicht einfach kopieren, sondern sich genau fragen, welche Zielgruppen man anspricht und welche Kontaktpunkte es gibt.
Warum steckt Ihrer Meinung nach in dem Thema „Kundenerlebnisse“ so ein großes Umsatzpotenzial?
Glattes: Viele Unternehmen versuchen, sich über Geld neue Kunden zu beschaffen – etwa in Form von großen Marketingaktionen. Aber Kunden sind heutzutage sehr illoyal, weil es häufig ein Überangebot gibt.
Selbst wenn der Kunde heute zufrieden ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch morgen noch bei Ihnen einkauft. Ich habe kürzlich mit einer Marketing-Leiterin gesprochen, die mir gesagt hat: „Wir hatten noch nie so viele glückliche Kündiger.“
Bei begeisterten Kunden sieht die Sache anders aus. Sie sind Fans, extrem loyal und empfehlen das Unternehmen weiter. Jede Empfehlung bringt neuen Umsatz – und zwar ohne dass man dafür Geld in Marketing investieren muss. Es lohnt sich also.
Vielen Dank für das Gespräch!
Lesetipps:
Karin Glattes, „Der Konkurrenz ein Kundenerlebnis voraus“, Springer Gabler 2016
Roman Becker: „Das Fan-Prinzip“, Springer Gabler 2015
Wikipedia: Customer Experience Management
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Kartin Glattes ist Unternehmensberaterin aus Köln